Knochenzement I: kein Verbot der Fruchtziehung aus vorheriger Verletzung von Betriebsgeheimnissen
Die Revision eines Herstellers von Knochenzement gegen einen Kontrahenten, der unter Ausnutzung von Betriebsgeheimnissen die Marktführerstellung erwarb blieb ohne Erfolg. Der BGH wies die Revision mit Beschluss vom 16.11.2017 – Az. I ZR 161/16 – zurück und belegte das beklagten Unternehmen nicht mit dem beantragten Verbot der sog. Fruchtziehung.
Was war passiert?
Die Klägerin ist ein Hersteller von Knochenzementen. Die Beklagte vertrieb von 1998 bis 2005 für die Klägerin deren Knochenzemente. Ab 2005 kündigte die Klägerin den Vertrieb über die Beklagte und vertrieb die Knochenzemente selbst. Die Beklagte entwickelte und vertrieb noch im selben Jahr „eigene“ Knochenzemente. Wie sich im Vorverfahren vor dem OLG Frankfurt/Main herausstellte, waren dies eben keinen völligen Eigenentwicklungen der Beklagten, sondern sie verwendete rechtswidrig Betriebsgeheimnisse der Klägerin. Das OLG untersagte 2014 der Beklagten die Nutzung von Betriebsgeheimnissen und die Herstellung der Knochenzemente.
Das OLG wertete die Spezifikationen und die Inhaltsstoffe der Knochenzemente als Betriebsgeheimnisse der Klägerin, welche die Beklagte auch nicht an Dritte weitergeben durfte. Die Beklagte wurde auf Zahlung von Schadensersatz an die Klägerin verurteilt.
2014 brachte die Beklagte neue Knochenzemente auf den Markt, die nicht dem wettbewerbsrechtlichen Verbot des OLG Frankfurt/Main aus dem Vorprozess unterfallen.
Wie entschieden die Gerichte?
Die Klägerin wollte erreichen, dass die Beklagte mit einem teilweisen Belieferungsverbot belegt wird. Die Beklagte sollte den Kunden, die innerhalb den letzten Jahre mit dem beanstandeten Vorgängerprodukt beliefert worden waren, auch in einer Karenzzeit von 2 Jahren nicht mit dem neuen und eigenentwickelten Knochenzement beliefert werden dürfen. Aufgrund der besonderen Umstände des Streitfalls würden die Werbung Belieferung von Kunden mit dem neuen Knochenzement in den Verbotsbereich von § 3 Abs. 1 UWG fallen, obwohl diese Zemente nicht unter Verletzung von Betriebsgeheimnissen der Klägerin hergestellt würden.
Die Beklagte habe sich durch die Verletzung der Betriebsgeheimnisse der Klägerin in die Lage versetzt, ein gleichwertiges Konkurrenzprodukt anzubieten. Dadurch habe sie sich in unlauterer Weise durch Aufbau bestimmter Kundenbeziehungen eine Marktposition verschafft, die sie nunmehr durch das Angebot der von ihr entwickelten Produkte weiter ausnutze. Diese Vertriebswege müssten ihr durch die Karenzzeit von 2 Jahren verwehrt bleiben, in der sie die bereits belieferten Kunden nicht mehr beliefern dürfe, damit beide Unternehmen wieder in eine gleiche Wettbewerbssituation versetzt werden, die ohne die Verletzung der Betriebsgeheimnisse geherrscht hätte.
Landgericht und Oberlandesgericht lehnen Klage und Berufung ab
Landgericht Frankfurt/Main und OLG Frankfurt/Main lehnten Klage und Berufung ab. Mit dem Vertrieb der neuen Knochenzementen könne nicht unter dem Gesichtspunkt der Fruchtziehung aus vorangegangenem rechtswidrigen Verhalten (Nutzung der Betriebsgeheimnisse und die rechtswidrige Herstellung der Vorgängerprodukte) als unlautere Geschäftshandlung oder Werbung gemäß § 3 Abs. 1 UWG angesehen werden. Das beantragte Verbot sei daher unbegründet.
Auch der BGH lehnte die Revision ab. Die Beklagte ist weder mit einem teilweisen Belieferungsverbot zu belegen, noch stellt die Werbung und der Vertrieb der neu entwickelten Knochenzemente eine unlautere Geschäftshandlung dar. Ein Unterlassungsanspruch stehe der Klägerin daher nicht zu. Bei den neuentwickelten Knochenzementen handele es sich um solche, die nicht mit den Betriebsgeheimnissen der Klägerin in unmittelbarem Kontakt stehen und damit auch nicht dem Unterlassungsanspruch des Vorprozesses unterfallen.
Was bedeutet dies nun?
Es geht um zwei Hersteller von Knochenzementen. Erst arbeiteten beide Unternehmen zusammen, in dem die Beklagte die Knochenzemente der Klägerin vertrieben hat. Dann vertrieb die Klägerin ihre Produkte selbst. Die Beklagte nutze allerdings die Betriebsgeheimnisse der Klägerin und kopierte deren Knochenzemente. Damit übernahm die Beklagte die Marktführerschaft in dem betreffenden Segment.
Die Klägerin gewann den Vorprozess, in dem um die Feststellung der Nutzung von Betriebsgeheimnisse durch die Beklagte ging. Jetzt wollte die Klägerin aber auch gegen die Marktführerschaft der Beklagten vorgehen. So wollte die Klägerin die sog. Fruchtziehung der Beklagten aus der Erlangung von Betriebsgeheimnissen verbieten lassen. In der juristischen Fachsprache meint die Frucht oder Fruchtziehung, die Nutzung des Ertrags oder der Produkte einer Sache oder eines Rechts.
Einfaches Beispiel: Die Früchte eines Apfelbaumes sind seine Äpfel. Die Früchte der Beklagten sind einerseits die Gewinne aus dem Vertrieb der Knochenzemente. Für diese Gewinne musste die Beklagte schon im Vorprozess Schadensersatz leisten, da sie diese Knochenzemente ja nur herstellen und vertreiben konnte, weil sie rechtswidrig an die Betriebsgeheimnisse der Klägerin gelangte und diese nutzte. Aber durch den Vertrieb der rechtswidrigen Knochenzemente gelangte sie auch zu Kundenkontakten und einer Marktführerstellung. Wenn sie diese Stellung nun für andere Produkte ausnutzen kann, dann schadet sie der Klägerin theoretisch doppelt. Da aber die neuen Knochenzemente die Eigenentwicklung der Beklagten sind, verbot der BGH die Fruchtziehung nicht.