Knochenzement II: Wettbewerbswidrige Werbung mit dem Prädikat einer Spitzenstellung
Der BGH belegte mit seiner Entscheidung vom 16.11.2017 – Az. I ZR 160/16 – das beklagte Unternehmen mit einem wettbewerbsrechtlichen Verbot weiter explizit mit seiner Spitzenstellung im Bereich der Knochenzemente zu werben.
Was war passiert?
Die Beklagte vertrieb neben anderen Produkten aus der Medizinsparte bis 2005 für die Klägerin Knochenzemente, welche diese herstellt. Ab 2005 vertrieb die Klägerin diese selbst. Im selben Jahr entwickelte und vertrieb die Beklagte „eigene“ Knochenzemente. Wie sich im Vorverfahren vor dem OLG Frankfurt/Main herausstellte, waren dies eben keinen völligen Eigenentwicklungen der Beklagten, sondern sie verwendete Betriebsgeheimnisse der Klägerin. Das OLG untersagte der Beklagten die Nutzung von Betriebsgeheimnissen und die Herstellung der Knochenzemente.
Das OLG wertete die Spezifikationen und die Inhaltsstoffe der Knochenzemente als Betriebsgeheimnisse der Klägerin, welche die Beklagte auch nicht an Dritte weitergeben durfte. Die Beklagte wurde auf Zahlung von Schadensersatz an die Klägerin verurteilt.
2014 brachte die Beklagte neue Knochenzemente auf den Markt. Für diese warb sie unter anderem damit, dass das Unternehmen „Zurück an der Spitze“ sei und somit an die Stellung als Marktführer wieder anknüpfen kann. Die Klägerin wollte diese, ihrer Ansicht nach irreführende Werbung, nicht hinnehmen und klagte dagegen. Zwar war die Beklagte bis 2014 tatsächlich Marktführer in dem betreffenden Segment der Knochenzemente, aber dies beruhte lediglich auf der rechtswidrigen Nutzung von Betriebsgeheimnissen der Klägerin. Für die ab 2014 neu eingeführten Knochenzemente könne nicht davon die Rede sein, dass die Beklagte mit diesen Produkten die Stellung als Marktführer innegehabt habe. Durch das bewusste Verschweigen dieser Tatsache habe die Beklagte auf irreführende Weise gem. §5a Abs. 1 UWG Werbung betrieben.
Wie entschieden die Gerichte?
Die Klägerin verlangte u.a. die Unterlassung der irreführenden Werbung sowie die Zahlung von Schadensersatz. Die Klage vor dem Landgericht Frankfurt/Main sowie eine darauf gerichtete Berufung vor dem OLG Frankfurt /Main wurden abgewiesen. Das OLG lehnte die Klage ab, da sich die Beklagte zwar die Marktführerschaft über die Verletzung von Betriebsgeheimnissen verschafft hatte, die Beklagte darüber aber im geschäftlichen Verkehr keine Aufklärungspflicht träfe.
Verschweigen von relevanten Tatsachen kann Irreführung sein
Nach § 5a Abs. 1 UWG sind bei der Beurteilung, ob das Verschweigen einer Tatsache irreführend ist, insbesondere deren Bedeutung für die geschäftliche Entscheidung nach der Verkehrsauffassung sowie die Eignung des Verschweigens zur Beeinflussung der Entscheidung zu berücksichtigen. Der Bedeutung des Verschweigens der Umstände wie die Beklagte zu ihrer Stellung als Markführer gekommen ist, sah das OLG lediglich als gering für die geschäftliche Entscheidung der Verwender des Knochenzementes an. Daher meinte das OLG, dass die Beklagte auch keine Aufklärungspflicht treffen würde.
Der BGH sah dies jedoch anders. Die Klägerin legte Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG Frankfurt ein und gewann. Die Richter des BGH übertrugen ihre Rechtsprechung zu einer anderen wettbewerbsrechtlichen Vorschrift auf § 5a UWG. Wenn der verschwiegenen Tatsache – hier die rechtswidrige Nutzung von Betriebsgeheimnissen – nach Verkehrsauffassung eine solch besondere Rolle zukommt, dass das Verschweigen die Kunden in ihrer Kaufentscheidung negativ beeinflusst, dann liegt eine irreführende Werbung gem. § 5a UWG vor.
Werbung für ein innovatives Produkt impliziert auch die Leistungsfähigkeit des Unternehmens
Zwar stützte sich die von der Klägerin beanstandete Werbung auf die Marktführerschaft der Beklagten bezogen auf die alten Knochenzemente, aber solch eine Werbung sagt nicht nur etwas über das Produkt aus, sondern auch über die Leistungsfähigkeit und Innovationsfähigkeit des Herstellers. Nun liegt es aber auf der Hand, dass die rechtswidrige Nutzung von fremden Innovationen und Entwicklungen nicht viel über die Leistungsfähigkeit der Beklagten aussagen kann. Wenn die Beklagte diese eigene Leistungsfähigkeit aber dann nutzt um neue Produkte anzuwerben, dann führt dies die Abnehmer bei ihrer Kaufentscheidung in die Irre. Die Beklagte wurde u.a. zur Unterlassung der irreführenden Werbung und zur Zahlung von Schadensersatz, welche sich aus der Nutzung der irreführenden Werbung ergeben hat, verurteilt.
Worum geht es hier?
Zwei Unternehmen liegen hier augenscheinlich schon länger im Streit über die Verwendung von Betriebsgeheimnissen, irreführende Werbung, entgangenen Gewinn und Schadensersatzforderungen. Das beklagte Unternehmen warb hier mit einer Marktführerstellung, die sie zwar auch innehatten, dies aber nur darauf fußte, dass sie Betriebsgeheimnisse eines Kontrahenten nutzen. Zwar stellt man fest, dass das beklagte Unternehmen diese Tatsache nicht unbedingt öffentlich kundtun musste, kein Unternehmen ist normalerweise verpflichtet negative Aspekte ihrer Produkte oder Handlungsweisen zu nennen, aber auch nicht indirekt mit den „Früchten“ dieser Praxis werben durfte.
Da man mit einem innovativen oder sehr guten Produkt auch immer etwas über die Leistungsfähigkeit und Innovationsfähigkeit aussagt, hat sich das beklagte Unternehmen „fremde Federn“ angesteckt. Sie hatten das Produkt nämlich gar nicht entwickelt. Wenn nun aber ein Krankenhaus, ein Arzt oder ein sonstiger Abnehmer der Knochenzemente dies auf die neuen Produkte des beklagten Unternehmens überträgt, dann irrt der Abnehmer genau über diese Leistungsfähigkeit oder Qualität des Produktes.