OLG Frankfurt setzt neue Maßstäbe für die Berechnung von Schmerzensgeld und Haushaltsführunsschaden
Das OLG Frankfurt/Main hat kürzlich in einer Entscheidung – Az. 22 U 97/16 – neue Maßstäbe für die Berechnung des Schmerzensgeldes und des Haushaltsführungsschadens gesetzt. Mit der neuen Methode soll die Berechnung von Schmerzensgeld damit mehr anhand der Umstände des Einzelfalls berechnet werden. Die Berechnung des Haushaltsführungsschadens soll sich besser an den modernen Gegebenheiten eines Haushalts orientieren.
Was war passiert?
Ein Motorradfahrer befährt im südhessischen Obertshausen eine Straße und kollidiert mit einem PKW. Der PKW-Fahrer vollzog trotz – vermutlich – roter Ampel mit seinem PKW eine Wende und traf den Motorradfahrer. Das Motorrad wird beim Zusammenstoß so schwer beschädigt, dass es Totalschaden erleidet.
Der Fahrer des Motorrads erlitt erhebliche Verletzungen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS-Distorsion), eine Bauchwandprellung sowie einen komplizierten Bruch der Speiche im linken Unterarm (Radiusmehrfachfraktur). Der Bruch musste operativ mit einem externen Fixateur – einer Apparatur, die einen Knochenbruch mithilfe von Stangen, Platten und Drähten außerhalb des Körpers stabilisiert und zusammenhält – versorgt werden. Er war über 4 Monate krankgeschrieben und bei der Führung seines Haushalts eingeschränkt. Aufgrund des Speichenbruchs leidet der Motorradfahrer dauerhaft an Sensibilitätsstörungen in der linken Hand.
Die Haftpflichtversicherung des verursachenden PKW-Fahrers beglich außergerichtlich den Schaden am Motorrad und zahlte dem Motorradfahrer ein Schmerzensgeld von 5.000 Euro. Darüber hinaus gehende Zahlungen, wie etwa den Haushaltsführungsschaden oder den erlittenen Verdienstausfall, lehnte die Versicherung ab.
Wie entschieden die Gerichte?
Der Motorradfahrer klagte vor dem Landgericht Darmstadt und verlangte u.a. neben weiterem Schmerzensgeld auch die Anerkennung des Haushaltsführungsschadens. Das Landgericht sprach dem Kläger daraufhin ein Schmerzensgeld von insgesamt 10.500 Euro zu sowie den Haushaltsführungsschaden.
Exkurs: Der Haushaltsführungsschaden und seine Berechnung
Immer dann, wenn ein Geschädigter durch eine Handlung eines anderen Verletzungen davonträgt (z.B. Verkehrsunfälle, Behandlungsfehler), kann es zu Haushaltsführungsschäden kommen. Die geschädigte Person ist so eingeschränkt bzw. nicht mehr leistungsfähig, dass sie ihren Haushalt mindestens teilweise nicht mehr führen kann. Dies gilt für die eigene Versorgung, wie auch für die Versorgung von anderen (z.B. im Haushalt lebende Kinder).
Berechnungsmodelle für die Höhe des Haushaltsführungsschadens gibt es einige. Zu differenzieren ist, ob für die Arbeiten, die die geschädigte Person nicht mehr ausführen kann, entweder eine Haushaltshilfe eingestellt wird, deren Lohn vom Schädiger übernommen werden muss, oder falls z.B. ein Angehöriger diese Aufgaben übernimmt, eine fiktive Schadensberechnung erfolgt. Dabei kann das Gericht anhand der familiären oder persönlichen Umstände auch schätzen, wie viele Stunden als normale Haushaltstätigkeiten anfallen würden und vergütet diese nach einem bestimmten Stundensatz. Die Schätzung des Stundenaufwandes anhand der konkreten Beeinträchtigung einzelner Tätigkeiten kann auch nach bestimmten Tabellenwerken ermittelt werden, welche von der Rechtsprechung anerkannt sind. Wenn die geschädigte Person nicht völlig eingeschränkt ist, kann auch die Zeit für die Haushaltstätigkeiten vor dem Verletzungsereignis mit der Zeit danach verglichen werden.
Die Höhe des Stundensatzes bestimmt sich oft nach bestimmten Tarifgruppen öffentlich-rechtlicher Tarifverträge (früher z.B. BAT, heute zumeist TVöD (kurz für Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst).
LG Darmstadt legt TVöD zugrunde
Der Kläger konnte vorliegend darlegen, welche Tätigkeiten er nicht mehr oder nicht in dem Maße wie vor dem Verletzungsereignis in seinem eigenen Haushalt (zusammen mit seiner Ehefrau), aber auch in dem Haushalt seiner Mutter leisten konnte und welcher Schaden sich daraus errechnet. Das LG Darmstadt legte bei der Berechnung des Haushaltsführungsschadens dann den Stundensatz aus Entgeltgruppe V des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst zugrunde.
Beklagter erhob Rechtsmittel
Der beklagte PKW-Fahrer legte gegen das Urteil des Landgerichts vor dem OLG Frankfurt/Main Berufung ein, da das LG den gestellten Beweisanträgen nicht nachgegangen sei. Das OLG änderte das Urteil und verurteilte den Beklagten zur Zahlung von weiterem Schmerzensgeld, wies die Berufung jedoch ab.
Exkurs: Schmerzensgeld und die Berechnung anhand von Tabellenwerken
Die Höhe des gerichtlich festgesetzten Schmerzensgeldes wird häufig danach beurteilt, wie Gerichte in vergleichbaren Fällen bereits entschieden haben. Dies führt dazu, das bestimmte Schädigungsfolgen, wie z.B. der Bruch der Speiche im Unterarm, anhand von Tabellenwerken zu einer mehr oder weniger einheitlichen Höhe des Schmerzensgeldes führen können. An die Höhe der Tabellenwerke ist allerdings kein Gericht gebunden, da dies nur Vergleichswerte oder Anhaltspunkte sein dürfen. Bei der Festsetzung eines Schmerzensgeldes muss ein Richter nach den objektiven Umständen und zukünftigen Auswirkungen sein Ermessen ausüben und dies im Urteil begründen. Deshalb genügt es nicht, auf die vergleichbaren Entscheidungen aus den Tabellenwerken zu verweisen.
Taggenaue Berechnung des Schmerzensgeldes statt Tabellenwerke
Das OLG versucht daher eine taggenaue Berechnung, die sich einerseits intensiver an den Umständen des Einzelfalls orientiert, aber andererseits auch standardisierte Kriterien wie unterschiedliche Behandlungsstufen und Stufen der Schadensfolgen berücksichtigt. Darüber hinaus stellt das OLG auf den Grad der Schädigungsfolgen ab, welcher ein Maß für die Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung eines Gesundheitsschadens darstellen soll. Es sind damit die Lebensbeeinträchtigungen in den Mittelpunkt gestellt, die für die Berechnung des Schmerzensgeldes relevant sind.
Auf einer zweiten Stufe sollen neben der taggenauen Berechnung auch Zu- oder Abschläge, z.B. für mögliche zukünftige Beeinträchtigungen, besondere Umstände jedes Einzelfalls berücksichtigen, die zu einer Verminderung oder Erhöhung des Schmerzensgeldes führen können. Das OLG sieht diese systematische Herangehensweise an die Berechnung des Schmerzens als vorteilhaft an, da damit nicht nur dem Einzelfall mehr Bedeutung zukommt, sondern dies auch die außergerichtliche Verhandlung zur Höhe des Schmerzensgeldes vereinfachen kann.
Dem Kläger wurde nach dieser taggenauen Berechnungsgrundlage vom OLG ein Betrag von insgesamt 11.000 Euro als Schmerzensgeld zugesprochen.
Haushaltsführungsschaden
Der Senat des OLG entschied sich bei der Berechnung des Haushaltsführungsschadens nicht komplett auf die Tabellenwerke zurückzugreifen. Der für den Kläger errechnete Wert der Haushaltstätigkeiten laut Tabellenwerten betrug über 60 Stunden pro Woche. Dieser Wert erschien dem Gericht zu hoch und entsprach auch nicht der vom Kläger eingeschätzten Zeit. Insgesamt zweifelt das OLG an, ob die in den Tabellenwerken benutzen Zahlen und Zeiten heute noch dem modernen Zuschnitt der Haushalte entsprechen. Durch den Einsatz bestimmter Maschinen bei der Zubereitung von Mahlzeiten und durch robotergestützte Systeme z.B. beim Staubsaugen oder Rasenmähen seien die Tätigkeitszeiten im Haushalt im Zweifel kürzer als in den Tabellenwerken angenommen.
Die neuen Tabellenwerke, die das OLG für die Berechnung zugrunde legt, orientieren sich u.a. auch am Netto-Einkommen des Haushalts, da mit steigendem Einkommen auch von einer höherwertigeren Ausstattung (und damit wohl auch eine größere Unterstützung durch Maschinen) auszugehen sei. Für den Kläger errechnete sich bei seinem Netto-Einkommen und dem Haushaltszuschnitt somit eine Zeit von 18,55 Stunden/Woche an Haushaltstätigkeiten. Das OLG legte aufgrund der Ausstattung und des Netto-Einkommens einen hohen Stundensatz für die Berechnung des fiktiven Schadens von 10 Euro/Stunde an.
Für die Zeit, die der Kläger stationär im Krankenhaus behandelt wurde, zog das OLG 20% von den errechneten Beträgen ab, da durch die Abwesenheit des Klägers der Aufwand der Haushaltstätigkeiten etwas geringer sei. Insgesamt sprach das Gericht dem Kläger für einen Zeitraum von ca. 5 Monaten einen Haushaltsführungsschaden von 1.500 Euro zu.
Was bedeutet dies nun?
Das OLG Frankfurt hat mit dieser Entscheidung versucht, die Berechnung von Schmerzensgeld und Haushaltsführungsschaden objektiver zu gestalten. Als erstes Obergericht verwand es für beide Berechnungen neue und veränderte Methoden. Die Berechnung des Haushaltsführungsschadens berücksichtigt nun auch den Einsatz von modernen Küchengeräten und orientiert sich mehr an dem Netto-Einkommen des Geschädigten.
Die Schmerzensgeldberechnung orientiert sich hingehen mehr an objektiven Kriterien und wird tag-genau durchgeführt. Dies könnte dazu führen, dass schwerere gesundheitliche Beeinträchtigungen und Schädigungsfolgen insgesamt zu höheren Schmerzensgeldern führen werden, weil Dauerschäden bei der Berechnung des Schmerzensgeldes ein ganz neue Berücksichtigung finden. Bei leichteren Schädigungsfolgen könnte dies aber deshalb auch zu geringeren Schmerzensgeldern führen.
Man kann die Entscheidung des 22. Zivilsenats des OLG Frankfurt am Main durchaus als revolutionär bezeichnen.
Konnte beispielsweise ein 50-jähriger Geschädigter mit Unterschenkelamputation nach bisheriger Rechtsprechung mit einem Schmerzensgeld von rund 45.000€-60.000€ rechnen, ergibt sich nach der taggenauen Berechnungsmethode des Schmerzensgeldes bereits ein 6‑stelliger Betrag im oberen Bereich.
Insgesamt führen die neuen Berechnungen zu mehr Gerechtigkeit bezüglich des Einzelfalls, weil sie nicht mehr nur Tabellenwerke heranziehen, sondern die individuelle Situation des Geschädigten in den Mittelpunkt stellen.
Falls Sie Fragen haben zu der taggenauen Berechnung des Schmerzensgeldes, rufen Sie uns einfach an unter 0641–9717454 oder schildern Sie Ihre Angelegenheit unter
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