Schadensersatz eines Selbstständigen nach Verkehrsunfall
In einer Entscheidung des BGH vom 19.09.2017 – Az. VI ZR 530/16 – ging es im Kern um die Frage, welche Maßstäbe an die Berechnung des Erwerbsschadens bei einem selbstständigen Zahnarzt anzulegen sind. Der BGH entschied, dass die Maßstäbe nicht zu streng sein dürfen.
Was war passiert?
Ein selbstständiger Zahnarzt erleidet 2006 einen Verkehrsunfall. Der Arzt zieht sich bei diesem Unfall u.a. Verletzungen an der Halswirbelsäule, dem linken Knie und dem linken Handgelenk zu. Durch die Verletzungen der Halswirbelsäule hat der Arzt wochenlang Kopfschmerzen und Ohrensausen. Doch die Verletzung des Handgelenks führt dazu, dass der Arzt seine Tätigkeit zeitweise gar nicht und im späteren Verlauf nur unter Schmerzen und Beeinträchtigungen ausführen kann. Die Verletzung ist bisher nicht ausgeheilt und führt ebenso zu Schwellungen.
Diese Schwellungen führen seit 2011 auch zu Missempfindungen in den Fingerkuppen der linken Hand. Diese Auswirkungen behindern den Arzt in der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit bis heute stark.
Nach dem Unfall war der Arzt ca. eine Woche arbeitsunfähig. Nach dieser Woche konnte der Arzt seine Tätigkeit zwar wiederaufnehmen, jedoch nicht mehr in dem Umfang fortführen, wie vor dem Unfall. Er musste Patienten z.B. an Kollegen weiterverweisen.
Durch die Zeit der vollständigen Arbeitsunfähigkeit sei dem Kläger ein Verdienstausfall von ca. 6.000 Euro netto entstanden. Für die Zeit nach dem Unfall, in der er nicht mehr im selben Umfang weiterarbeiten konnte, sei ihm jährlich ein Umsatzausfall von 60.000 Euro entstanden, was einen monatlichen Verdienstausfall von ca. 1.400 Euro netto für ihn bedeute. Somit sei ihm von November 2006 bis Oktober 2011 ein Verdienstausfall von ca. 85.000 Euro entstanden.
Im Vorfeld des Prozesses vor dem Landgericht Hamburg zahlte die Beklagtenseite dem Arzt 2.000 Euro Schmerzensgeld.
Wie entschieden die Gerichte?
Das Landgericht Hamburg sprach dem klagenden Arzt weitere 10.000 Euro Schmerzensgeld sowie ca. 6.000 Euro Verdienstausfall für eine Woche Arbeitsunfähigkeit nach dem Unfall zu. Im Übrigen wies es die Klage ab. Das LG sah es als nicht erwiesen an, dass die nachgewiesenen Umsatzrückgänge wirklich als eine Folge des Unfalls anzusehen seien. Durch eine bessere Organisation der Praxis, Lockerungsübungen und Pausen, könnten die Beschwerden und die Folgen gut ausgeglichen werden, so ein Gutachter im Prozess.
OLG reduzierte Schmerzensgeld und Verdienstausfall
Auch das OLG wies die Klage teilweise ab, aber verringerte das Schmerzensgeld auf ca. 7.000 Euro und den Verdienstausfall auf ca. 5.800 Euro für eine Woche Arbeitsunfähigkeit. Zum einen sei ein Schmerzensgeld von 12.000 Euro zu hoch, da andere Gerichte in vergleichbaren Fällen ein deutlich geringeres Schmerzensgeld gewährt hätten. Daher reduzierte das OLG Das Schmerzensgeld um 5.000 Euro.
Zum anderen sei auch der Verdienstausfall für eine Woche Arbeitsunfähigkeit zu hoch und um den Betrag der ersparten Auslagen zu reduzieren. Das OLG schätze diesen Betrag mit ca. 500 Euro ein (für Laborkosten, Betriebsbedarf und Praxiswäsche). Einen entgangenen Gewinn für die Zeit von 2006 bis 2011 erkannte das OLG nicht, da der Umsatz- und Gewinn-Rückgang nicht mit dem Unfall bzw. dessen Folgen schlüssig dargelegt werden konnte.
Revision vor dem BGH erfolgreich – OLG legt zu hohe Maßstäbe an
Gegen dieses Urteil legte der Arzt Revision zum BGH ein. Der BGH hob das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zum OLG zurück.
Gerade bei Selbstständigen sind Prognosen, wie sich der Umsatz und Gewinn der ausgeübten Tätigkeit entwickelt hätte und wie groß der entgangene Gewinn ist, nur schwerlich zu treffen. Dazu sind regelmäßig Geschäftszahlen und Umsätze der Jahre vor dem schädigenden Ereignis vorzulegen und zu berücksichtigen. Wenn der Kläger aber solche Nachweise erbracht hat, die Anhaltspunkte für die Schadenshöhe geben können, so darf ein Gericht dann die Klage nicht wegen lückenhaften Vortrags abweisen. Das OLG hat diese Nachweise des Klägers allerdings übergangen und zu Unrecht die Klage abgewiesen.
Hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruchs hat der BGH die Ausführungen des Berufungsgerichts ebenso bemängelt. Insgesamt habe das OLG einerseits nicht genügend Nachforschungen angestellt, inwieweit die Unfallfolgen den Arzt in der Ausübung seiner Tätigkeit eingeschränkt haben und einschränken werden. Andererseits habe das OLG die vorgelegten Sachverständigengutachten aber zu streng bewertet und die möglichen Auswirkungen nicht berücksichtigt.
Was bedeutet dies nun?
Es geht um die Frage, wie Gerichte bei unfallbedingten Folgen für Menschen, die selbstständig arbeiten, wie z.B. Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten oder Steuerberater, mit zukünftigen Ausfällschäden umgehen. Im vorliegenden Fall war es den Instanzgerichten nicht plausibel genug, wie stark sich der Umsatzzuwachs in den Jahren nach dem Unfall entwickelt hätte.
Eine solche Prognose erscheint sicherlich dann schwierig, wenn keine geeigneten Geschäftszahlen vorliegen. Der klagende Arzt legte solche Unterlagen jedoch vor. Die Instanzgerichte taten sich dennoch schwer und wollten die Umsatzrückgänge, die auf die verminderte Leistungsfähigkeit zurückzuführen seien, nicht akzeptieren. Zu Unrecht, die der BGH nun urteilte. Die Maßstäbe der Instanzgerichte hinsichtlich der prognostizierten Umsatzzuwächse waren zu eng. Nun muss das OLG erneut über den Fall verhandeln.